Es wirkt wie eine übertriebene Performance eines selbstgefälligen Menschen. Man muss Hrn. Degrasse Tyson zugute halten, dass er auf dem Feld der Astronomie/Kosmologie (Physik) vorzüglich bewandert ist, aber für diese Einlage hätte er einen Experten konsultieren sollen.
Die Beschäftigung des Menschen mit dem Kosmos in und durch die Kunst lässt sich als eigenständige Kunstgeschichte schreiben. Man muss nur an die Himmelsscheibe von Nebra denken, die etwa 4000 Jahre vor van Goghs „Sternennacht“ entstand. Vieles hängt fraglos von unserem Begriff des Künstlers ab. Der homo pictus oder homo creativus erschließen sich im Bildmedium die Welt. Kunst ist eine Methode zum Erkenntnisgewinn. Doch dem Menschen reicht dies nicht. Schnell bemerkt er seine schöpferischen Fähigkeiten mit dem Bild; der Mensch wird zum homo creator. Wir können im Bild zeigen, was nicht ist.
Der Fehler von Degrasse Tyson beginnt nicht erst bei van Gogh, sondern bereits in seinem unbeholfenen Versuch die Abkehr vermeintlich abbildender Kunst (sie war es nie) hin zum Impressionismus (an dessen äußerten Ausklang van Gogh steht) mit dem technischen Fortschritt zu erklären. Korrelation und Kausalität sind gewichtige Punkte zu denen in der Kunstgeschichtsschreibung die Auswahl tritt. Es gibt nicht die eine Kunstgeschichte, sondern erstmal eine weithin akzeptierte Kunstgeschichte einer künstlerischen Entwicklung, neben der jedoch viele andere Positionen stehen, die sich nicht entlang dieses linearen Laufs einordnen lassen und auch parallel zu van Gogh „realistisch“-„naturalistisch“ arbeiteten. Implizite Geschichtsfälschung beteibt Hr. Tyson mit einer Verkürzung seiner Erzählung durch inhaltliche Brüche. John Herschel entwickelte zwar die Cyanotypie als dritte Form stabiler Fotografie nach Daguerre und Talbot, diese fristete aber eher ein Nischendasein. Auch der amerikanische Bürgerkrieg wurde mitnichten mittels Eisenblaudruck dokumentiert.
Hr. Tyson präsentiert sich gerne als gebildeter Mensch und ist doch nicht willig oder fähig die Komplexität des Problems zu erkennen, das er naiv hier in Kürze abreißt.
Fragt man nach dem bewußt geschaffenen Abbild der Wirklichkeit und dem Wunsch nach seiner Überlieferung an die Nachwelt, so muss man schon bereits bei den Handnegativen aus vorgeschichtlicher Zeit beginnen. In ihrer Ausdeutung als Spuren, als Handzeichen, als sprachliche Gebärden oder Gesten gar, stellen sie ein ureigenes Forschungsfeld der Vor- und Frühgeschichte wie auch Anthropologie dar.
Nicht selten im Verlauf der Menschheitsentwicklung waren Künstler in ihrer Auseinandersetzung mit dem Kosmos an Ideologien gebunden. Kultstätten wurden nicht selten an kosmischen Ereignissen ausgerichtet. Sie projizieren quasi die ungreifbare Wirklichkeit des Kosmos herab auf menschliches Maß und lassen kosmische Ereignisse unmittelbar erlebbar werden.
Auch die Künstler des Mittelalters bildeten den Kosmos entsprechend ihrer Beobachtungen unter Berücksichtigung biblisch-kirchlicher Richtlinien der Weltmechanik ab.
Van Gogh als den ersten Künstler zu bezeichnen, der den Nachthimmel als zentrales Bildelement wählte, sagt mehr über den Bezeichner aus, als über das Bild. Es zeugt von einem limitierten Verständnis von und für menschliche Kultur.
Auch ein Adam Elsheimer beobachtete Natur, oder auch ein Matthias Grünewald, wenngleich sie beide Kosmos nicht zum Schwerpunkt ihrer Kunst erhoben, so lässt sich zumindest zum Bild „Flucht nach Ägypten“ (1609) von Elsheimer sagen, dass dem Kosmos rein quantitativ ein großer Raum geboten wird.
Der gesamte Reduktionismus ignoriert eine gesamte Kunstgeschichte aus Künstlern, die sich der Auseinandersetzung mit der Natur, dem Kosmos verschrieben hatten.
Aber letztlich ist dies ein Beispiel für individuelle Selbstdarstellung als Science-Superstar und der Versuch einer Reproduktion von Denkmustern zur Deutungshoheit über die Welt durch die Naturwissenschaften, die sich im englischen sehr euphemistisch selbst als „hard sciences“ bezeichnen. Jedoch: Fragen nach Autorität und Macht wären ganz andere Perspektiven.
Zu seiner Ehrenrettung sei auf den sehr einleuchtenden Abschluss seines Monologs – oder Vortrags verwiesen. Mit den Worten Paul Klees sei ergänzt: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“ (P. Klee: „Schöpferische Konfession“. In: Tribüne der Kunst und der Zeit. Eine Schriftensammlung, Band XIII, hg. v. Kasimir Edschmid. Reiß, Berlin 1920. S. 28) Sie ist ein Instrument zum Gewinn von Erkenntnis über Welt.
youtube: z01hIfVLEkU