Zwischen-Geschichte(n)

In vielen Fällen stellt Geschichtsschreibung die Betrachtung von Eliten, ihren Handlungen und Netzwerken dar. So entstand Geschichte als Niederschrift über (vermeintlich) bedeutende Menschen. Die breite Bevölkerung lebte oft nur als gesichtsloser „Volkskörper“ ihrer Traditionen und Lebensweisen fort. Hier und da fielen Namen einzelner Menschen in das Geschichtswerk; meist im Kontext von Kontakten zu Eliten.

Dies hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zum Glück gewandelt.

Auch im Kleinen stellt der Nachvollzug eines einfachen Lebens die Verneigung vor der Lebensleistung eines Menschen dar. Die Nachhaltigkeit von Leistungen sollte nicht an staatsmännischen Entscheidungen oder kapitalistischen Erfolgen geknüpft sein.

Jeder Mensch schafft sein tagtägliches Auskommen mit den eigenen Händen. Sei es das wortwörtliche Abarbeiten an materiellen Aufgaben. Dem Produzieren von Alltagsgegenständen, dem Abtransport von Abfall oder den zahlreichen Serviceleistungen. Sei es immaterielles Arbeiten; das Niederschreiben von Gedanken, die zu Wissenschaft, Journalismus, Poesie oder fiktionalen Romanen führen.

Heutzutage ist es nicht unüblich auch individuellen Leistungen Tribut zu zollen, indem Firmen die Zugehörigkeit einzelner Arbeiter nach Jubiläen öffentlich machen. Ein Akt der Würdigung mit Tradition. Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde Angestellten Arbeitern in dieser Form gedankt. Besonders spannend wird dies im Kontext einer firmen- und sammlungsgeschichtlichen Aufarbeitung von Entwicklungen.

Am 24. Mai 1876 erschien im Bielefelder Wochenblatt eine Anzeige, aufgegeben von MItarbeitenden der Pianofortefabrik Th. Mann & Co. aus Bielefeld.

Anzeige zum Arbeitsjubiläum im Bielefelder Wochenblatt vom 24. Mai 1876.

Dies bedeutet, Louis Jesziorsky trat im Jahre 1851 in die Fabrik ein. Zu diesem Zeitpunkt war noch Christian Wilhelm Volkening Inhaber dieser kleinen Manufaktur im aufstebenden Bielefeld. Jesziorsky war einer von knapp 8 Arbeitern, als Theophil Mann die Klavierbauwerkstatt vom schwer erkrankten Volkening übernahm.

Ein Blick in das erste Adressbuch der Stadt Bielefeld von 1865 offenbart, dass Louis Jesziorsky vermutlich Tischler war und im Haus Nummer 504 d, gelegen an der Breiten Straße in Bielefeld wohnte. Die Namensvariante liefert hier jedoch eine erhebliche Unsicherheit.

Bielefelder Adressbuch von 1865.

Dennoch wohnte er damit wohl in unmittelbarer Nähe zum damaligen Standort der Werkstatt Volkenings und, bis 1868 auch der Pianofabrik Th. Mann, die erst hernach an den Standort am Oberntorwall wechselte. Volkenings Werkstatt befand sich zumindest an einem Zeitpunkt im Eckhaus Breite Straße und Kreuzstraße.

Als Seitennotiz sei angemerkt, dass der Arbeiter-Bildungs-Verein, aus welchem später die Volkshochschule Bielefeld hervorging, im April 1878 beschloss, „die frühere Volkening’sche Besitzung an der Kreuzstraße zu 24,000 Mark anzukaufen“ und um einen großen Saal zu ergänzen.

Bielefelder Tageblatt vom 11. April 1878.

Lässt man die Schreibvariante des Namens geltend und nimmt an, es handelt sich um die gleiche Person, war Jesziorsky auch an der Gründung der Betriebskrankenkasse Th. Mann & Co. beteiligt und stand ihr als Vorsitzender vor.

Ausschnitt aus einem Blatt der im Stadtarchiv Bielefeld erhaltenen Gründungsakte der Betriebskrankenkasse von Th. Mann & Co.

Persönlich spannend wird die Geschichte Louis Jesziorskys, bedenkt man, dass er vermutlich direkt an der Schaffung eines Volkening-Klaviers beteiligt war, das sich in unserem Besitz befindet. Auch wenn wir noch keine konkrete Eingrenzung des Fabrikationsjahres vornehmen konnten, da noch wenig über die frühen Jahre der Fabrik bekannt ist, ist bereits der Gedanke spannend, Namen und die wenigen Lebenseckpunkte eines Tischlers zu kennen, der möglicher Weise an diesem Klavier mitgewirkt hat.

Volkening-Klavier.

Quellen und Bildnachweise u.A.: zeitpunkt.nrw

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