„Feinde ringsum“

„Feinde ringsum, Feinde ringsum! / Um diese zischende Schlange / Vaterland, ist dir so bange? / Bange, warum? Bange, warum?“
(Karl Gottlob Cramer zit. nach Carl Krafft: Liederbuch des deutschen Volkes, Leipzig 1843, S. 289; ursprünglich von 1791 und erstmals abgedruckt in Karl Gottlob Cramer: Hermann von Nordenschild, Weißenfels 1792)

oder auch:

„Sehet euch um! / Sind wir nicht wieder verrathen? / Wieder durch Diplomaten? / Feinde ringsum!“
(August Heinrich Hoffmann von Fallersleben verm. abgedruckt in: Zwölf Zeitlieder; Noch ein Dutzend, Leipzig 1849, S. 10)

 

Diese politischen Losungen, eingegossen in Liedgut oder Literatur, finden sich, so mag man erstaunt feststellen, bis in das 20. – ja, gar in das 21. Jahrhundert hinein verbreitet. Dabei tauchen sie mitunter auch im religiösen Kontext auf. So liest man in der Niederschrift – von Gustav Schweitzer – einer Predigt, die am 8. August 1858 in der Schlosskirche zu Gotha gehalten wurde:

„Das Leben des wahrhaften Christen, beliebte Freunde, ist ein Kampf. Der Christ soll ein rechter Kriegsheld sein, und führen die Kriege des Herrn. Feinde ringsum! das ist die Losung des Christenlebens; Feinde innerhalb und außerhalb, das ist die Erfahrung des Christen.“
(Gustav Schweitzer: Zeugnisse von Christo, abgelegt auf der Pilgerschaft in sechs Predigten, gehalten in den Jahren 1855 bis 1858, Gotha 1859, S. 66)

Tatsächlich entspringt dieser Gedanke der kreisenden Feinde den biblischen Schriften. Gleich mehrfach taucht dort das Motiv von den durch Gott zu vernichtenden oder bereits vernichteten Feinden auf: „Ihr werdet aber über den Jordan gehen und im Lande wohnen, das euch der HERR, euer Gott, zum Erbe geben wird, und er wird euch Ruhe schaffen vor allen euren Feinden ringsum, und ihr sollt sicher wohnen.“ (5. Mose 12,10), „Da ergrimmte der Zorn des HERRN über Israel, und er gab sie in die Hand von Räubern, die sie beraubten, und verkaufte sie in die Hand ihrer Feinde ringsum, so daß sie ihren Feinden nicht mehr widerstehen konnten. “ (Richter 2,14), „Also gedachten die Kinder Israel nicht an den HERRN, ihren Gott, der sie von der Hand aller ihrer Feinde ringsum errettet hatte, (…)“ (Richter 8,34), „Da sandte der HERR Jerub-Baal und Bedan, und Jephtah und Samuel und errettete euch aus den Händen eurer Feinde ringsum und ließ euch sicher wohnen.“ (1. Samuel 12,11) oder „Und nach langer Zeit, als der HERR Israel Ruhe verschafft hatte vor all seinen Feinden ringsum, (…)“ (Josua 23,1; sämtliche Bibelstellen nach Schlachte 1951).

Kaiser Wilhelm II berief sich zum Auftakt des Krieges in einer Ansprache am 6. August 1914 auf die biblischen Zeilen: „(…) Und wir werden diesen Kampf bestehen auch gegen eine Welt von Feinden. Noch nie ward Deutschland überwunden, wenn es einig war.Vorwärts mit Gott, der mit uns sein wird, wie er mit den Vätern war“ (Quelle der Audioaufnahme nicht länger online verfügbar). Seine Soldaten trugen auf ihren Koppelschlössern die Losung „Gott mit uns!“ eingeprägt in die Schlacht.

Dieser Vorstellung einer Umstellung durch feindliche Mächte brachte Franz von Stuck, in Bezug auf Wilhelm II. zu künstlerischer Form. Sein mit dem Schwert erhobener Jüngling, ausgeführt in Öl und als Plastik, steht prototypisch für die Geisteswelt in Deutschland des Jahres 1914.

Es ist eine über Äonen in das menschliche Kollektivgedächtnis eingeprägte Angstgefühl von „Feinden ringsum!“. Doch nicht alleine in Deutschland finden sich diese sprachlichen Phrasen oder Gedankenmuster (interessanter Weise, werden diese Floskeln auch in der politischen Sprache und Sprache politischer Berichterstattung verwendet: „Feinde ringsum“ in Der Spiegel, Nr. 49/1962, S. 48/49 über die Wahlen und Ängste der CSU (Strauß) über Feinde, rings um Deutschland).

Ähnliches geht einem durch den Kopf, liest und hört man dieser Tage Berichte über Putins Äußerungen zur Lage der Nation (beispielhaft: http://www.welt.de/…/Eine-Frage-ueberhoert-Putin-gleich-zwe…). Jüngst schien er (mal wieder) den Vergleich zwischen Russland und einem Bären heranziehen zu wollen, welcher gegen seine Feinde kämpfe. Man fragt sich natürlich, welche Feinde ein Bär haben könne und welche Interessen und Nation dieser denn verteidigen wolle. Aber gewiss spricht Putin damit auch auf ein Selbstverständnis einiger (?), vieler (?), mancher (?) Russen an, die in vergleichbarer Weise wie in Deutschland geborene und aufgewachsene Menschen mit gewissen landestypischen Nationalidentitäten indoktriniert wurden. Wie Strauss 1962, wie auch die Nazis im 3. Reich oder die Fanatiker im Ersten Weltkrieg sehen national verblendete Menschen überall nur Verschwörungen gegen sich – oder nutzen sie ganz bewußt, um sich an der Macht halten zu können.

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