Die Veröffentlichung von Rammsteins »Deutschland« Song liegt bereits einige Zeit zurück. Doch erst jetzt wurde ich durch eine Besprechung auf YouTube wieder auf dieses Lied und das zugehörige Musikvideo aufmerksam. In Jenem wird das Statement gebracht, dieses Musikvideo sollte Teil des Geschichtsunterrichts sein.
Das kann man machen, um den sonst eher drögen Geschichtsunterricht auflockern zu wollen, doch ohne ein entsprechendes Hintergrundwissen und Analysewerkzeug kann man dann wenig mit dem Song in einem Unterrichtsrahmen anfangen. Und genau da beginnt das Video austauschbar zu werden. Es ist kein Glanzstück und gewiss nicht das einzig denkbare musikalische oder visuelle Stück, das im Geschichtsunterricht einsetzbar ist.
Jedoch krankt vor allem die Besprechung des Funk-Ablegers »Mr Wissen 2 Go« an zahlreichen Ecken. Die Oberflächlichkeit dieser „Analyse“ stellt sich selbst in Konkurrenz zu Rammsteins »Deutschland« Song und Video.
Das beginnt schon mit so auffälligen Patzern, bei Rammstein würde die Varusschlacht gezeigt. Die zeitliche Einblendung »16 AD« bezieht sich direkt auf die Germanicus-Feldzüge und nur indirekt auf die Varus-Niederlage. Aber letztlich hätte man an dieser Stelle bereits auf die Trennung von faktischer Geschichtsschreibung und Erinnerungskulturen hinweisen müssen. Die Einheit der germanischen Stämme war von kurzer Dauer und die Präsenz römischen Militärs östlich des Rheins war bis weit in das 2. nachchristliche Jahrhundert gegeben.
Die Erhebung der Varusschlacht zur Geburtsstunde »Deutschlands« fand erst im 19. Jahrhundert statt; obgleich etliche Autoren bereits zuvor sich dieses Themas annahmen. Dies ging zeitlich einher mit einer Reichsgründungsbewegung und dem Erstarken eines Nationalbewusstseins ab der Zeit napoleonischer Besetzung von Friesland, dem Rheinischen Bund, Preußen, Westfalen etc. pp. Erst hier konstituierte sich nach und nach ein retrospektiv konstruiertes Bild von einer Einheit Deutschlands und der damit verbundenen Geschichte, die auf Arminius zwecks Herrschaftslegitimation zurückgeführt wurde.
Und dies stellt den entscheidenden didaktischen Punkt dar. Dieses Mittel zur Legitimation von Herrschaft findet sich an zahlreichen Stellen der Weltgeschichte umgesetzt. Bereits die römischen Herrscher führten ihre Macht auf irgendwelche historischen Persönlichkeiten, Götter oder Schlachten zurück. Das öffentlichkeitswirksame Mittel war das Bild.
In Form von Münzen, Denkmalen und Schriftstücken zementierten sie ein fiktives Geschichtsbild, das bei genauer Betrachtung hauptsächlich politische Propaganda darstellt.
Leider treten auch Rammstein in genau diese Falle. Sie bedienen sich einem Potpourri an Bildfragmenten und Symbolen, die teils aus dem Kontext gerissen und teils in einen gefährlichen Zusammenhang gesetzt werden.
Besonders auffällig ist die Hinrichtungsszene des Musikvideos, in welcher die Rammstein-Musiker in KZ-Kleidung, die mit entsprechenden Häftlingszeichen versehen sind. In der Besprechung des Videos wird hier die sorgfältige historische Recherche hervorgehoben und gelobt. Doch vermieden wird, darauf hinzuweisen, was das Aufblenden dieser Zeichen auf die Personen, also die Bandmitglieder impliziert. Es sind keine Schauspieler, die eine Charakterrolle mimen. Die Musiker selbst werden hier und in anderen Szenen zu Opfern stilisiert. Sie sind Opfer der Römer, Gefallene auf einem Schlachtfeld, Häftlinge in einem Gefängnis. Zwar finden sich auch andere Szenen, in denen die Musiker Täter zu sein scheinen, doch sind diese in der Unterzahl.
Im Schnittrausch der abgehackten Szenen oszilliert das Video Rammsteins zwischen historisch gut recherchierten Elementen und plakativen Szenen, wie dem grotesken Bankett. Doch wird niemals klar oder erklärt, welche Szenen historische Fakten und welche Szenen der Bildsprache von Erinnerungskulturen entspringen und welche Bedeutungen und historischen Dimensionen diese wiederum haben.
Die Rammsteinmusiker stilisieren sich als Opfer von Staaten. Sie sehen sich wohl selbst bereits als Inkarnation von Deutschland, getreu dem Wutbürgermotto: „Wir sind das Volk“.
Das Musikvideo bedient sich zahlreicher unterschiedlicher Ästhetiken – das emotionslose martialische Gebaren wird pointiert in einem ZEIT-Online Artikel dargelegt. Es möchte mehr sein, als es ist und doch verblasst es neben bildgewaltigen Beispielen der Film- und Medienkunst. Die öffentliche Kritik an Song und Video ist einleuchtend und steht symptomatisch auch selbst für unsere Gegenwart, die noch immer mit der eigenen jüngsten Geschichte hadert. Die beständige Diskussion über Vergangenes zur gewinnbringenden Arbeit an der Zukunft im gleichheitlich-demokratischen Grunddenken ist notwendig, aber gewiss nicht an einem Rammstein-Video. Es ist, wie das Lied, einfach nichts Besonderes.
Aber die Zeit wird zeigen, ob das Stück auch in 20, 50 oder 100 Jahren noch wirken kann.
Etwas irritierend wirkte auf mich eine Szene auf halbem Weg durch das Video. Sie geht unter in den zahlreichen Schnitten und doch lauert in ihr ein gefährliches Bild. Die eben noch zum Tode verurteilten KZ-Häftlinge umzingeln, bewaffnet in einer Art Rückschau drei Nazi-Offiziere. Ein erster Impuls ließ mich den Gedanken an eine Dolchstoßlegende fassen. Doch bei genauer Betrachtung stehen die übrigen NS-Soldaten ruhig und gelassen in einem äußeren Kreis ohne zu intervenieren. Hier könnte man ein ganz konkretes Geschichtsbild der Nachkriegszeit sehen, das die Schuld der Weltkriegsverbrechen allein in der Führungsriege sah. Nicht umsonst konfrontierten die 68er ihre Eltern mit der eigenen Vergangenheit. Aber das akademische Thema »Kollektivschuld« wäre ein eigenes Kapitel. Wichtig ist aber zu erwähnen, dass dieses Thema fester Bestandteil rechter Rhetorik darstellt. Letztlich konnten die NS-Verbrechen nur geschehen, weil die große Mehrheit schwieg.
Gerade für diese Szene müssen sich Rammstein den Vorwurf der Fahrlässigkeit gefallen lassen. Das Video ist mitnichten so gut recherchiert, wie manch einer sehen möchte.
Für eine umfassende Besprechung reicht ein geschichtswissenschaftlicher Blick alleine nicht aus. Mindestens ein Bildwissenschaftlicher Blick muss hier hinzugezogen werden. Man muss sich in Geschichte, politischer Ikonografie, Bildanalyse und Theorien des Kollektiven Gedächtnisses und Erinnerungskulturen auskennen, um das Video hinreichend besprechen zu können.
Es ist meine Vermutung, dass dieses Lied der Bedeutungslosigkeit anheim fallen wird. Rammsteins »Deutschland« ist Provokation, es ist eben kein »Die Moorsoldaten«, kein Konstantin Weckers »Vaterland« und hat schon gar nicht die Emotionalität all der politischen Liedermacher, die mit ihrer Kunst tatsächlich etwas bewirken wollten.
https://www.youtube.com/watch?v=NeQM1c-XCDc